Wie eine Hornviper zwischen Mythos und Wüstensand zur Hauptfigur wird
Hallo liebe Kunstfreunde,
dieses Mal nehme ich euch mit in die heiße, flirrende Welt der Wüste – genauer gesagt: in den Sand unter der Sonne, wo kaum etwas wächst, alles knirscht, flimmert und dennoch eine Menge Leben verborgen liegt. Mein neuestes Werk SHIFTING SANDS ist ein weiterer Beitrag zur WILD SKETCHES Serie, der sich ein Tier zum Motiv nimmt, das fast immer mit Gänsehaut und Alarmglocken assoziiert wird: die Schlange, genauer gesagt die Hornviper.
Warum ausgerechnet eine Schlange?
Schlangen lösen in uns eine der stärksten Urreaktionen überhaupt aus. Sie gelten als hinterlistig, kaltblütig, gefährlich und unberechenbar. Der Mensch spricht von „gespaltener Zunge“, wenn jemand lügt, und selbst in den ältesten Mythen steht die Schlange selten auf der Seite der Helden. Von der Schlange im Paradies bei Adam und Eva bis hin zu Lord Voldemorts Haustier – sie ist Symbol des Verbotenen, des Listigen, des Tödlichen.
Und doch: Wer etwas genauer hinschaut, merkt schnell, dass wir es hier nicht nur mit einem Stereotyp zu tun haben, sondern mit einem hochentwickelten, Millionenjahre alten unveränderten Lebewesen, das sich auf beeindruckende und sehr effiziente Weise an extreme Lebensräume angepasst hat. Für mich war das der Einstieg.
Ich wollte wissen: Ist da mehr als nur Grusel? Und wie so oft bei meiner WILD SKETCHES Serie fand ich eine faszinierende Mischung aus Eleganz, Intelligenz, Anpassung und Überleben. Das führte mich zu einem ganz besonderen Exemplar: Cerastes cerastes, der Sahara-Hornviper.
Das Tier: Meisterin der Bewegung im Sand
Die Hornviper gehört zur Familie der Vipern und lebt in Nordafrika sowie auf der arabischen Halbinsel. Ihre „Hörner“, die über den Augen sitzen, sind eigentlich nichts anderes als mit Hornschuppen verstärkte Augenbrauen. Vermutlich sind diese als Sandabweiser entstanden, also "nur" eine weitere Effizienz Anpassung an ihren Lebensraum, auch wenn es nicht ganz so spektakulär klingt wie es aussieht. Trotzdem machen sie diese kleinen Fortsätze visuell sofort zu etwas Besonderem: gefährlich, urzeitlich, fast ein bisschen dämonen- oder drachenhaft.
Was mich aber vor allem beeindruckt hat: Ihre Art sich fortzubewegen. Statt zu schlängeln, „sidewindet“ sie – also gleitet sie in einer seitlich versetzten Bewegung über den Sand. Dadurch kommt sie besser durch den Sand und hat auch etwas weniger Kontakt zur Oberfläche und kann sich auch bei 60 °C Bodentemperatur fortbewegen, ohne zu verbrennen. Das nenn ich mal Superkraft. Diese nutzt sie tagsüber aber nur in Ausnahmefällen. Im Normalfall ist sie bei der größten Hitze im Sandvergraben um sich vor der Sonne und auch Feinden zu schützen. Sie ist eher aktiv in der Dämmerung und der Nacht. Vielleicht ein weiterer Grund für die Wahrnehmung eines Zwielichtigen Lebewesen.
Die Idee hinter dem Bild
In SHIFTING SANDS wollte ich genau diese Bewegung festhalten. Die S-Form zieht sich diagonal durch die Bildfläche, dynamisch, aber kontrolliert. Die Linien wirken in der Natur etwas verwischt wie vom Wind gezogen. Ich habe bewusst auf eine detaillierte Hintergrundgestaltung verzichtet, um die Hornviper ganz in den Fokus zu rücken. Ich find Ihre Fortbewegung einfach beeindruckend und sogar einfach "schön". Die Spur im Sand bleibt, wie ein Echo ihres Gleitens.
Dagegen sieht doch jeder Fußabdruck von uns langwellig aus.
Die wie bei der Serie typischen reduzierte Farbpalette besteht hier aus einem kräftigen, fast leuchtenden Gelb als Hintergrund und darüber schwarze und ein paar wenige weiße Linien. Das Gelb soll für mich an die Hitze, das gleißende Licht, die Gefährlichkeit, aber auch die Ruhe der Wüste erinnern. Alles reduziert auf das Wesentliche. Kein Schnickschnack, keine Ablenkung. Nur Bewegung. Nur das Tier.
Die Umsetzung: Linie für Linie, mit schneller Hand und viel Respekt
Wie bei den anderen Werken der Serie, habe ich mit Acryl auf Leinwand gearbeitet. Die Striche wurden mit Acrylmarkern freihand gezeichnet. Die Bewegung entstand Schritt für Schritt, Linie für
Linie, ohne richtige Vorzeichnung. Ich erarbeite mir auf der Leinwand erst mal grob die Position und ein paar wichtige Elemente und gehen dann ins Detail über und setze lange Striche bis das Tier
für mich funktioniert. In dem Falle hier habe ich zu erst alle Schwarzen Elemente ausgearbeitet und später noch mit Weiß ein paar Highlights gesetzt um ihr die nötige Tiefe zu verpassen.
Für die vorab Skizzen habe ich mir wie immer vorher einige Fotos und auch Videos angeschaut. ich mach dann ein paar erste sehr schnelle grobe Skizzen, ein paar Detail Skizzen zu bestimmten
Körperteilen oder Bewegungen und am ende noch ein-zwei für die grobe Positionierung und Haltung und dann geht es nur noch an die Leinwand.
Ginny – meine Airedale Terrier Hündin – war bei der Entstehung wieder mein Atelier-Sidekick. Auf manchen Fotos sieht man sie vor dem Fertigen Gemälde dösen. Sie hat sich offenbar weder vom Motiv noch vom Gelb beeindrucken lassen. Trotzdem kommt sie damit ihrer "Arbeit" als Model für den Größenvergleich wie immer nach und zeigt, dass das Bild die Schlange natürlich in einer übertriebenen, aber meiner Meinung nach gerechtfertigten, respekteinflößenden Größe zeigt
Zwischen Klischee und Faszination
Das Bild ist aber nicht nur eine Hommage an die Hornviper. Es ist auch ein kleiner Kommentar zur Art, wie wir mit Tieren umgehen, die nicht unserem ästhetischen Ideal entsprechen. Schlangen sind oft Projektionsfläche für unsere Ängste. Sie passen nicht in unser Bild von Kuscheltier oder Wildtier. Sie sind etwas Dazwischen. Einfach ihr Körper zu Fremd für uns und trotzdem elegant und manchmal sogar tödlich.
Gleichzeitig stehen sie seit Jahrhunderten oder sogar seit Jahrtausenden auch für Wissen (die Schlange am Äskulapstab als Symbol der Medizin), für Erneuerung (Häutung als Wiedergeburt) und für Weisheit. In der europäischen Alchemie und Mystik gab es etwa das Ouroboros-Symbol (eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt), das den ewigen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt verkörpert. Zwischen den Extremen von Heilkraft und Höllenwesen pendelt die symbolische Bedeutung der Schlange und genau diese Ambivalenz macht sie für mich so spannend. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Schlangengifte für den Menschen sehr gefährlich sein können und trotzdem werden ihre Bestandteile in der modernen Medizin in vielen Bereichen erforscht und bereits verwendet.
Fazit
SHIFTING SANDS ist ein Werk über Bewegung, Anpassung und Wahrnehmung. Über ein Tier, das ohne Beine überlebt, ohne Gehör jagt, Wärme sieht und mit der Zunge riecht. Es ist Teil meiner WILD SKETCHES Serie, in der ich den „hässlichen“, gefährlichen oder merkwürdigen Tieren eine neue Bühne gebe.
Die Hornviper ist für mich keinesfalls das Böse. Sie ist eine beeindruckende Überlebenskünstlerin, ein flüsterndes Relikt der Evolution. Wer weiß, vielleicht steckt in ihr mehr Weisheit, als wir ihr zugestehen.
Ich hoffe, ihr habt Lust, auch mal über das erste Bild in eurem Kopf hinauszudenken – und diese Schönheit in der Stille der Wüste zu entdecken.
Bis bald –
euer
Martin Lingens
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